Page 25 - NDV 08/2021
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 NDV 8/2021 IM FOKUS Insbesondere mit der „Beratung“ und „Institutionsberatung“ war Wolfgang Bäuerle seiner Zeit voraus.5 Von „Sozial- management“ haben dann erst 1983 Müller-Schöll und Prieb- ke gesprochen (Müller-Schöll/Priebke 1989). 5. Und der Mensch Wolfgang Bäuerle? Reinhold Schone (heute Professor in Münster) war Student bei Wolfgang Bäuerle, hatte ihn als Erstgutachter für seine Dip- lom-Arbeit, war dann auch studenti- scher Mitarbeiter bei ihm, er kannte ihn also gut. Er berichtete davon, dass er Wolfgang Bäuerle immer wieder als ungewöhnlich sensibel und engagiert für die Belange der sog. „kleinen Leute“ erlebt hat. Wegen einer schweren Krankheit hat Wolfgang Bäuerle regelmäßig längere Zeit in Indonesien verbracht (wegen der Wärme dort). Wenn er zurückkam, sammelte er häufig Geld, z.B. für eine einfache Haar- schneidemaschine, damit ein armer Indonesier als Friseur arbeiten konnte, oder für die Reparatur eines Bootes, den Fi- scher hatte er dort kennengelernt. Und Reinhold Schone be- richtete von einer Besetzungsdiskussion an der Universität Bielefeld, an der er beteiligt war: Zur allgemeinen Ver- wunderung habe Wolfgang Bäuerle in der Diskussion darauf bestanden, die Entscheidungen nicht zunächst danach auszu- richten, was wir (die Entscheider) wollten, sondern danach, welcher auszuwählende Kollege (w/m) mit seiner Arbeit am besten geeignet sei, später (dem Wohl von) Kindern zu die- nen.6 So wird der Satz deutlicher aus einer Autorenbeschreibung: „Wolfgang Bäuerles Leben war bestimmt von dem Willen, Wissenschaf und soziale Praxis für die Belange sozial be- sonders benachteiligter Menschen einzusetzen, um deren Lebensbedingungen und Lebenschancen zu verbessern.“7 6. Welche Erinnerungen an Wolfgang Bäuerle (sollten) bleiben? 1) Die an sein besonderes Wissenschafsverständnis, das Ergebnisse stets daran gemessen (beurteilt) hat, ob sie praxisrelevant sind – cui bono est/für wen ist es von Nut- zen? Und er hat bereits das Prinzip des „forschenden Lernens“ propagiert, heute ein gängiges „hochschul- didaktisches Format“ – wenn es denn umgesetzt wird. 2) Die an einen radikalen Reformer, heute würde man wohl sagen, einen Modernisierer: Denn in mindestens drei sozialpädagogischen Fachbereichen (Heimerziehung, Be- ratung, Intitutionsberatung) war er seiner Zeit voraus. Seine frühe Forderung nach Elternberatung in der Heim- erziehung ist gerade durch die SGB VIII-Novelle wieder sehr aktuell. 3) Fachlich beeindruckend und zukunfsweisend ist auch seine Darstellung von Beobachtung und Beschreibung in der Sozialarbeit im Text „Sozialarbeit zwischen Bevor- mundung und Partnerschaf“ von 1967 (Frommann/Haag 1983, 88 f.), eine Betrachtung, wie sie sich später u.a. in Schrifen zum Konstruktivismus niedergeschlagen hat. 4) Die an einen Menschen, der permanent den Mut hatte zu wechseln, immer bereit für neue (praktische) Erfahrungen gewesen ist, aus denen er dann seine theoretischen Über- legungen speiste. Seine Arbeit als Heimerzieher, als Er- ziehungsleiter einer Blindenstudienanstalt, als psycho- logischer/psychotherapeutischer Berater und Behandler, als wissenschaflicher Assistent, im Management des Bundesverbandes der Arbeiterwohlfahrt, schließlich in der Lehre. 5) Die an den Institutsgründer: „Sein“ Institut für Sozial- arbeit und Sozialpädagogik in Frankfurt am Main ist ge- wissermaßen die Quintessenz seiner Theorie-Praxis-Über- legungen rund um seine Erfahrungen und Erkenntnisse zur Institutionsberatung, die später unter dem Begrif „Sozial- management“ fortentwickelt wurden. Und er war ofenbar auch als Leitungsperson „modern“: „Wohl durchaus anspruchsvoll, aber auch gelassen, durch An- erkennung motivierend.“8  5 Bis zur 3. Auflage 1988 sind in: Kref/Mielenz, Wörterbuch Soziale Arbeit (durchgesehen von H. Hottelet) seine Aufassungen zur Beratung (S. 93–99) und Institutionsberatung (281 f.) nachzulesen. 6 Reinhold Schone und rwin Jordan haben ihr Handbuch Jugendhilfeplanung in der 2. Auflage 2000 (nach unserer Meinung wegen der beispielhafen Praxisnähe immer noch die beste Veröfentlichung zu diesem Thema) „ihrem Mentor Wolfgang Bäuerle“ gewidmet – und Ingrid Mielenz und Dieter Kref ihr Wörterbuch Soziale Arbeit noch bis zur letzten von ihnen verantworteten 8. Auflage 2017 „Wolfgang Bäuerle und Ilse Reichel“: es gibt also noch den Respekt über Generationen! 7 Zitiert nach Kref/Mielenz: Wörterbuch Soziale Arbeit, 3. Aufl. 1988, 647. 8 So von rwin Jordan in einem Telefonat am 9. Januar 2021 berichtet; für rwin Jordan war Wolfgang Bäuerle einige Jahre Vorgesetzter beim Bundesverband der Arbeiterwohlfahrt. 409 


































































































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