Jugendhilfe im Strafverfahren: Begleitung, Beratung und Betreuung – Empfehlungen des Deutschen Vereins für öffentliche und private Fürsorge e.V. für die Umsetzung von § 52 SGB VIII
1. Vorbemerkung
Gemäß § 52 SGB VIII ist es Aufgabe des Jugendamtes, im Verfahren nach dem Jugendgerichtsgesetz (JGG) mitzuwirken. Jugendliche oder Heranwachsende, die einer Straftat verdächtigt werden und gemäß § 1 Abs. 2 JGG zum Tatzeitpunkt 14 bis unter 21 Jahre alt waren, müssen während des gesamten Jugendstrafverfahrens durch die Jugendhilfe im Strafverfahren beraten, betreut und begleitet werden. § 52 SGB VIII bestimmt, dass die Mitwirkung der Jugendhilfe insbesondere nach § 38 JGG, der unterschiedliche Aufgaben der Jugendhilfe im Strafverfahren normiert, und nach § 50 Abs. 3 Satz 2 JGG, wonach die Jugendhilfe in der Hauptverhandlung auf ihr Verlangen das Wort erhält, zu erfolgen hat. Das JGG seinerseits weist der Jugendhilfe vielfältige weitere Aufgaben zu. Die Empfehlungen sollen der Orientierung der Jugendhilfe im Strafverfahren dienen und beleuchten das Jugendstrafverfahren aus dem Blickwinkel der Jugendhilfe.
In Umsetzung zweier EU-Richtlinien und durch das Gesetz zur Bekämpfung sexualisierter Gewalt gegen Kinder sind zahlreiche Neuregelungen des JGG in Kraft getreten. An das Ziel der Richtlinie (EU) 2016/800 anknüpfend sind insbesondere §§ 37a, 38, 46a, 68 ff., 70 ff. JGG zu nennen, welche die Stärkung der Verfahrensrechte von Beschuldigten zum Gegenstand haben, um deren besonderen Bedürfnissen in Bezug auf Schutz, Erziehung, Ausbildung und sozialer Integration gerecht zu werden.
Mit Inkrafttreten des Gesetzes zur Stärkung von Kindern und Jugendlichen (Kinder- und Jugendstärkungsgesetz – KJSG) zum 10. Juni 2021 wurde der Auftrag aus § 52 SGB VIII insofern erweitert, dass das Jugendamt nun gehalten ist, frühzeitig zu prüfen, ob auch Leistungen anderer Sozialleistungsträger in Betracht kommen, vgl. § 52 Abs. 2 Satz 1 SGB VIII. Die komplementären § 52 Abs. 1 Sätze 2 und 3 SGB VIII und § 37a JGG beschreiben nun die rechtlichen Voraussetzungen einer behördenübergreifenden Zusammenarbeit bzw. der Zusammenarbeit in Gremien. Ferner betrifft die Jugendhilfe im Strafverfahren auch die Neuregelung von § 10a SGB VIII, wonach Beratungsleistungen in verständlichen, nachvollziehbaren und wahrnehmbaren Formen zu erbringen sind.
Die Praxis der Jugendhilfe im Strafverfahren stellt sich heterogen dar. Die unterschiedlichen an sie gerichteten Erwartungen innerhalb des Spannungsfeldes zwischen Jugendhilfe und Strafjustiz können zudem Unsicherheiten auch in den Arbeitsabläufen der Fachkräfte bedingen, für welche die grundlegenden professionellen Standards der Sozialen Arbeit gelten. Zur Unterstützung der Praxis bieten diese Empfehlungen daher einige konkrete Arbeitshilfen an.
Der Deutsche Verein ist der Überzeugung, dass diese Veränderungen Anlass und Chance für eine Neuausrichtung der Jugendhilfe im Strafverfahren im Sinne eines umfassenden Qualitätsentwicklungs- und Professionalisierungsprozesses darstellen. Er möchte die Jugendhilfe darin bestärken, sich im Jugendstrafverfahren als Garant dafür zu verstehen, dass tatverdächtige junge Menschen die Unterstützung und Begleitung erhalten, die sie in dieser Krisensituation benötigen.
Die Empfehlungen richten sich an die Leitungs- und Fachkräfte der öffentlichen und freien Träger der Kinder- und Jugendhilfe sowie an weitere Akteure in Jugendgerichtsverfahren.
dv-4-22_jugendhilfe_im_strafverfahren.pdf [PDF, 610 KB]